Mitmenschlichkeit ein Antlitz geben

Die 26. Weihnachtsspendenaktion der Altenhilfe „alt – arm – allein“ ist eingeläutet. Eine Feierstunde am Sonntagabend (20.11.2022) in der Apostelkirche markierte den Beginn der Spendenwochen. Die Festrede hielt der aus Kaiserslautern stammende Schriftsteller und Journalist Christian Baron, der Erfinder der Altenhilfe, Hans-Joachim Redzimski unterstrich, dass die Hilfe der Initiative die Hilfe aller Spender sei.
Von Andreas Sebald

Christian Baron war 1997, als die Altenhilfe „alt – arm – allein“, getragen von der protestantischen Apostelkirchengemeinde, der katholischen Gemeinde St. Maria und der Tageszeitung DIE RHEINPFALZ, aus der Taufe gehoben wurde, zwar erst zwölf Jahre alt. Dennoch trug er sich damals gleich in die erste Spendenliste mit ein. „Das is fa die arme Leit, die mir im Stich losse“, habe ihm sein Großvater damals geantwortet, als er als kleiner Junge nach dem Hintergrund der Initiative gefragt habe. Die fünf Mark, die er zuvor von seinem Opa bekommen hatte, gab er daraufhin zurück mit dem Hinweis, diese doch bitte für die Alten spenden zu wollen.

Diese von Baron geschilderte Episode griff Schlussredner Hans-Joachim Redzimski, der Erfinder der Altenhilfe, auf. „Ich kann Ihnen für diese fünf Mark gar nicht genug danken“, sagte Redzimski, der Ende 2020 in die passive Phase seiner Altersteilzeit bei der RHEINPFALZ eingetreten ist. Baron, der auch einige Zeit für die RHEINPFALZ schrieb, sei ihm immer noch „lebhaft in Erinnerung“.

Durchschnittsrente liegt bei 1048 Euro
Es waren sehr persönliche Erinnerungen und Erlebnisse, die der seit einigen Jahren in Berlin wohnende Schriftsteller und Journalist Baron vortrug, immer unterfüttert mit Zahlen und Fakten, stets mit Appellen an Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verbunden. Die durchschnittliche Rente in Deutschland habe im Jahr 2021 1048 Euro betragen. Das bedeute, dass viele Menschen mit weitaus weniger auskommen müssen. „Wie sollen Menschen da noch das Leben finanzieren?“, fragte Baron. Laut der Organisation Foodwatch waren 2021 in Deutschland 12,5 Millionen Menschen von sogenannter Ernährungsarmut bedroht, 21 Millionen Menschen seien nicht in der Lage, knapp 1000 Euro für unvorhersehbare Investitionen aufzubringen.

Sein Großvater Willi, der unmittelbar vor Beginn der Corona-Pandemie im Alter von 91 Jahren verstarb und lange von seiner Tante gepflegt worden war, habe am Ende sein eigenes Begräbnis nicht bezahlen können. Diese Episode schilderte Baron anhand einer Passage aus seinem Beitrag „Fangfragen“, der in seiner jüngsten Buchveröffentlichung, der Anthologie „Klasse und Kampf“, unlängst veröffentlicht wurde.

Neben finanzieller Probleme seien viele ältere Menschen auch mit Einsamkeit konfrontiert. Während der Corona-Pandemie seien Baron und seine Frau erstmals dazu gekommen, die Menschen, die mit ihnen in dem Haus im Berliner Stadtteil Wedding lebten, richtig kennenzulernen. Dabei sei das Kennenlernen für gegenseitiges Verständnis unerlässlich, sagte Baron und zitierte Norbert Thines, den 2021 verstorbenen, langjährigen Vorsitzenden von „alt – arm – allein“: „Wenn ma ned wees, wie die Leit lewen, kann ma ne ah ned helfe.“

Die Arbeit von Thines – sowie die dessen Stellvertreters Peter Jochen Degen, würdigte Redzimski in seiner Ansprache. Der Initiator der Altenhilfe sagte, dass „aus einer Idee eine wirkungsvolle Initiative“ geworden sei. Er dankte den vielen Tausend Spendern über die Jahre. „Unsere Altenhilfe ist Ihre Hilfe für ältere, bedürftige und allein stehende Menschen, Ihre ganz persönliche.“ Allen Mitstreitern rund um die Initiative, die dazu beigetragen haben, „,alt – arm – allein’ groß zu machen“, gebühre ebenfalls Dank: „Sie haben Mitmenschlichkeit ein Antlitz gegeben.“

Baron sprach auch die aus seiner Sicht teilweise katastrophale Lage im Pflegebereich an, unterfüttert von persönlichen Erfahrungen mit einem jungen Pfleger in Thüringen, den er in seiner Zeit dort kennengelernt hatte. „Wir haben einen Pflegenotstand. Das macht mir Angst.“

Politik und Wirtschaft seien gefordert, Lösungen zu finden. Viel zu viel hänge von der Erwerbsarbeit der Menschen ab, viele, die Vollzeit, also 40 Stunden arbeiten gingen, hätten „50- oder 60-Stunden-Wochen“. Für seinen Hinweis, dass immer öfter „die Gewinne privatisiert, die Verluste aber sozialisiert“ würden, erhielt Baron Zwischenapplaus aus den Bänken der Apostelkirche.

Christian Clemens, der im Februar 2021 die Leitung der Lokalredaktion der RHEINPFALZ in Kaiserslautern übernahm, lieferte einen Einblick in die praktische Arbeit des Vereins. In den monatlichen Vorstandssitzungen werde über Anfragen entschieden. Die Bandbreite ist groß, reicht von einer Zugfahrkarte über eine neue Waschmaschine bis zu einem Friseurbesuch. „Es sind oft Kleinigkeiten, die sich die meisten Menschen leisten können“, sagte Clemens. Aber es gebe immer mehr Menschen, für die solche Aufwendungen keine Selbstverständlichkeit seien. Selbstverständlich sei dagegen für ihn gewesen, dass die RHEINPFALZ auch nach dem Ausscheiden von Hans-Joachim Redzimski die Arbeit von „alt – arm – allein“ weiter unterstützen wird. „Es stand außer Frage, dass die RHEINPFALZ eine tragende Säule von ,alt – arm – allein’ bleibt.“

Kaiserslauterns Oberbürgermeister Klaus Weichel formulierte in seiner Ansprache, die er für Stadt und Landkreis hielt, zwei Appelle. Die Verantwortlichen der Altenhilfe dürften „in ihrer fantastischen Arbeit nicht nachlassen“. Das soziale Netz habe Lücken, deshalb sei pragmatische Hilfe gefragt, für die „in Kaiserslautern ,alt – arm – allein’ steht“. An alle Zuhörer gerichtet rief Weichel dazu auf, „sich vom allumfassenden Wohlstand zu verabschieden“: „Wir haben es in der Vergangenheit mit unseren Ansprüchen übertrieben.“ Die Gesellschaft habe nun aber die Chance, sich darüber klar zu werden, „was wir eigentlich brauchen“.

Altenhilfe hat Altersarmut sichtbar gemacht
Die Veranstaltung eröffnet hatte Pfarrerin Susanne Wildberger. „Der Hunger nach Gerechtigkeit darf nie aufhören“, sagte sie mit Blick auf die zuvor von ihr zitierte Passage aus der Bergpredigt:  „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ Die Spendenaktion „alt – arm – allein“ habe es über die Jahre geschafft, „Altersarmut sichtbar zu machen“: „Es hat jeder verstanden, dass solche Initiativen notwendig sind.“ Sie appellierte an die Zuhörer, das eigene Verhalten zu hinterfragen, etwa wie man mit armen Menschen umgehe. „Es denkt ja niemand von sich, dass er arme Menschen nicht leiden kann.“ Dennoch habe sie, auch in dem Buch „Ein Mann seiner Klasse“ von Christian Baron (Wildberger: „Ich habe es verschlungen“), erfahren, dass mit Menschen aus ärmerem Milieus doch oftmals anders umgegangen werde.

„Ich weigere mich, nicht an eine bessere Zukunft zu glauben“, sagte Baron am Ende seiner rund 25-minütigen Rede zuversichtlich. Die Verantwortlichen von „alt – arm – allein“ bat er, weiterzumachen, „um vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft die Mission erfüllt zu wissen“.

Den musikalischen Rahmen der rund 90-minütigen Veranstaltung setzte der stimmgewaltige Chor Gospelsingers aus Schopp (Leitung: Thomas Vogt) mit Evergreens wie „You’ve got a Friend“ von Carole King oder „Bridge over troubled Water “ von Simon and Garfunkel.

Quelle:
DIE RHEINPFALZ, Lokalausgabe Pfälzische Volkszeitung vom 21. November 2022
view – die agentur (Fotos)

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